Viele Seminare, die ich mitmachen durfte, hatten etwas mit Worten, Gedanken und Sprache zu tun. Wie wirke ich auf mein Gegenüber, wenn ich mit tiefer Stimme „Im Brustton der Überzeugung“ oder ganz kieksig und atemlos spreche, was kann ich tun, um eine positive Grundstimmung zu erzeugen, wie gehe ich während eines Vortrags mit Störungen um?
Ich interessiere mich seit langem für Sprache. Dafür, wie einzelne Worte eingesetzt werden, und was sie bewirken. Dazu sollte man im Blick behalten, dass Wiederholung eine gefühlte, scheinbare Wahrheit schafft. Ein Wort, das im selben Zusammenhang zum selben Zweck immer wieder auf dieselbe Art genutzt wird, gilt irgendwann als gesicherte Lehrmeinung. Ich denke, jeder kennt den Begriff der urbanen Legende, einer Geschichte, die so oft wiederholt wird, dass sie Eingang in das menschliche Bewusstsein gefunden hat und man manchmal sogar erschreckt ist, dass diese Geschichte nicht belegbar ist. Wenn ich nur oft genug die Geschichte von der Schlange aus der Bananenkiste wiederhole, ist sich meine Zuhörerschaft irgendwann sicher, dass diese Geschichte sich genau so zugetragen hat. Es gibt ganze Buchreihen, angefangen mit der „Spinne in der Yucca-Palme“, die sich mit diesen modernen Sagen beschäftigen. Und das Schlimme ist, so denke ich, dass eine Richtigstellung nur dann funktioniert, wenn die ursprüngliche, falsche Geschichte nicht wiederholt wird. Überhaupt, das Wort „nicht“. Unser Gehirn ist nicht in der Lage, an etwas nicht zu denken. Wer zum Beispiel versucht, nicht an eine Tasse Kaffee zu denken, der wird sie in aller Pracht und Schönheit erst recht vor seinem inneren Auge sehen.
In seiner „Lingua tertii imperii“, Sprache des dritten Reiches, schreibt Autor Victor Klemperer: "Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da."
Was soll so ein ewig altes Versatzstück in unserer modernen Welt?
Ganz einfach, es gibt sie noch heute, diese Arsendosen. Für euch Geher sind sie völlig normal - und vermutlich für einen großen Teil der Roller auch.
Es sind ganz einfache Worte, die jedem von uns bekannt sind. „Fortschritt“ lautet eines davon. „Es geht voran“, ein Spruch, den ich häufig als Antwort auf „Wie geht’s?“ höre. Wir sagen, dass eine Maschine läuft – das war sogar mal der Werbeslogan eines großen Automobilkonzerns. Gezeigt wurde ein Auto, das immer weiter und weiter fuhr – gesagt wurde „Und er läuft … und läuft … und läuft“
Das Wort „rollen“ hingegen wird häufig im Passiv oder für Dinge gebraucht: etwas ins Rollen bringen, der Rubel rollt, ein Programm wird ausgerollt. Wie viele Menschen sehen einen Rollstuhlfahrer als etwas, das man ins Rollen bringen kann, darf oder gar muss? Es ist mir auch schon einige Male passiert, dass ich ungefragt aus einem Aufzug oder durch eine Tür geschoben oder gezogen wurde. In den meisten Fällen fehlten mir die Worte. Ist ein klares „Nein!“ dann unhöflich?
Dann die Schule. Wer das Klassenziel nicht erreicht, der bleibt umgangssprachlich sitzen. Sind Rollstuhlfahrer Sitzenbleiber, nur weil sie nicht für ihre Rechte aufstehen können?
Jeder sollte zum Beispiel für sich selbst bestimmen können, wie er bezeichnet werden möchte, oder ob es überhaupt einer besonderen Bezeichnung bedarf. Stattdessen werden Worte konstruiert, die den Beeinträchtigten möglichst wenig beeinträchtigen sollen.
Aber es gibt auch Wortkonstruktionen, die das Verständnis erleichtern sollen – und das in den meisten Fällen auch tun.
Ein Beispiel: Wir haben keine Vorteile, wir haben Nachteilsausgleiche. Wann immer ich dieses doch recht sperrige Wort erwähne stoße ich häufig zunächst auf humorigen Unglauben (oft geäußert durch ein „Waaaas?“) und schließlich auf Verständnis. „Natürlich, du kannst nicht laufen, also brauchst du eine Möglichkeit, immer einen Parkplatz zu finden“. Der Nachteil, außergewöhnlich gehbehindert zu sein, wird durch das Recht, einen möglichst nahen und im Normalfall freien Parkplatz nutzen zu dürfen, ausgeglichen. Nebenbei: Der Autofahrer, der unberechtigt auf einem Behindertenparkplatz im öffentlichen Verkehrsraum steht, zahlt zwar laut Bußgeldkatalog von 2019 „nur“ 35 Euro, kann aber in jedem Fall damit rechnen, dass sein Fahrzeug abgeschleppt wird. Darüber hinaus kann dieses unberechtigte Parken über das Bürgertelefon der Polizei oder dem Ordnungsamt angezeigt werden. Bei Geschäften mit eigenem Parkplatz zählt hier allerdings das Hausrecht.
Wer sich schlecht oder nicht bewegen kann, dem wird oft auch gedankliche Unbeweglichkeit angelastet. Das ist aber selten richtig. Viele Menschen, die als behindert gelten, nutzen ihre körperlichen Schwierigkeiten, um ihren Geist nach Möglichkeit zu schleifen. Ich kenne einige, denen ein sehr trockener Humor zu eigen ist, die eine abgeklärte Weltsicht haben, die an anderen Orten spätestens mit dem Einschalten des Fernsehers ausgeschaltet wird. Gedanken, die weiter reichen als von der Tapete bis zur Wand – manchmal auch ohne Kleister dazwischen, ein Wesen, dass sich um andere kümmern möchte und nach Möglichkeiten sucht, nicht nur das eigene Leben zu verbessern.
Das ist auch einer große Menge an Menschen im Vollbesitz ihrer körperlichen Kräfte eigen. Und es ist wunderbar, dass der Wunsch, an andere nicht nur zu denken, immer weitere Kreise zieht. Vielleicht können wir gemeinsam einen Teil zu einer besseren Welt beitragen.
Wo beginnt jedoch Verbalkosmetik?
Für mein Empfinden immer da, wo ein Fakt verschleiert werden soll, weil man glaubt, mit diesem Fakt zu verletzen.
Sehen wir uns diese Entwicklung einmal am Wort „behindert“ an. Dieses Wort, für sich genommen, heißt einfach nur, dass ein Ablauf nicht so funktioniert, wie er von der Natur – oder auch vom Menschen – gedacht war. Jemand oder etwas sorgt dafür, dass B eben nicht nach A kommt, sei es nun die nicht funktionierende – weil durch ein Hindernis verklemmte – Maschine oder der Mensch, bei dem Bewegungs- oder Denkabläufe nicht so funktionieren, wie sie landläufig funktionieren sollen. Auch örtliche Gegebenheiten, wie zum Beispiel Schwellen oder Treppen können behindern, nicht nur einen Menschen, der Schwierigkeiten hat, einen Fuß vor den anderen zu setzen, sondern auch zum Bespiel den Lieferanten, der etwas auf der Sackkarre befördert. Seit auf Schulhöfen allerdings der „Behindi“ oder der Satz „du bist doch behindert“ als gewollte Beleidung eingesetzt wird, ist der „Behinderte“ in Bezug auf einen Menschen in Verruf geraten. Stattdessen wird das vermeintlich Negative vermeintlich positiv ausgedrückt, indem ein behinderter Mensch als „Mensch mit besonderen Fähigkeiten“, so der neueste Auswuchs dieser Verbalkosmetik, oder „Mensch mit besonderen Bedürfnissen“ betitelt wird. Beides hat seine Berechtigung, aber ob man jemanden (der nebenbei bemerkt in den meisten Fällen weiß, dass er anders ist) damit belegen muss, sei dahingestellt. Wer sich nicht sicher ist, möge einen Behinderten einfach fragen, wie dieser genannt werden möchte. In den meisten Fällen, so wie in meinem, einfach bei seinem Namen.
Was mir besonders negativ aufstößt sind Menschen, die mich mit meinem Hilfsmittel gleichsetzen. Die – sicherlich freundlich gemeinte – Bemerkung an den Busfahrer „Hier möchte ein Rollstuhl mit“ lässt mich als Person an der Kante der Bushaltestelle. Ich bin weitgehend autark beweglich und eben deswegen ein Mensch wie alle anderen. Wer dem Busfahrer im genannten Fall „einen Rollstuhlfahrer“ anzeigt, der hat nicht nur mein Verständnis, sondern meine Freude und Dankbarkeit, denn Rollstuhlfahrer sind oft schlecht sichtbar.
Während meiner Recherchen zum Thema stieß ich auf die Internetseite leidmedien.de . Hier befinden sich sehr verständliche Erklärungen für verschiedene, verbalkosmetisch eingesetzte Begriffe in Bezug auf behinderte, beeinträchtigte, eingeschränkte Menschen.
Abschließend eine Idee: bringen wir den Fortschritt doch ins Rollen.