Das Uhthoff – Phänomen oder Wenn die Gabel plötzlich fünf Kilo wiegt
Wir pusseln auf der Terrasse, der neue Garten möchte endlich werden. Mulch, Brennnesseln und Erde sind in den Pflanzbottichen, die Tomaten und Zucchini setze ich gerade ein. Thymian, Salbei und Rosmarin in die Kräutertöpfe … ich merke nicht, wie sehr die Temperatur steigt.
Dann sind wir für den Tag fertig und wollen grillen, uns noch weiter an unseren Pflänzchen freuen. Der beste Ehemann von allen räumt Teller, Gläser, Nudelsalat und alles weitere auf den Tisch, beginnt, das eingelegte Fleisch zu grillen. Ich merke, dass es recht warm ist und dass mir ein wenig schwummerig wird, messe dem aber nicht viel Bedeutung bei. Schließlich haben wir einiges geschafft, da bin ich halt ein wenig kaputt.
Die Ernüchterung kommt, als ich mein Fleischstück klein schneiden will. Plötzlich wiegt die Gabel mindestens fünf Kilo, das Messer lockere sieben. Ich bin flügellahm, kann kaum noch Glas oder Besteck zum Mund bringen.
„Sind ja auch 32 Grad!“ sagt der beste Ehemann von allen, bringt mich ins Haus, schneidet mir das Fleisch klein. Gerade dass er mich nicht füttern muss.
In der kühleren Umgebung komme ich langsam wieder zu mir, trotzdem dauert es eine gute Stunde, bis ich mich wieder annähernd normal bewegen kann. Ich kenne diese Reaktion, trotzdem macht sie mich jedes Mal wieder hilflos.
Was genau ist da passiert?
Viele Menschen mit Multipler Sklerose vertragen die Erhöhung der Körpertemperatur nicht, wie sie zum Beispiel durch hohe Außentemperaturen, heiße Bäder oder Saunagänge ausgelöst wird. Sie erleiden einen so genannten Pseudoschub, die schon vorhandenen Symptome verschlimmern sich. Auch das ist nicht bei jedem Betroffenen gleich, man geht aber davon aus, dass etwa 80% der Erkrankten damit zu tun haben. Und leider ebenso andere Menschen, deren Markscheiden (die Isolierung der Nervenfasern) durch Krankheiten angegriffen sind.
Man kennt diese Symptomatik heute als Uhthoff – Phänomen, wenn auch der Augenarzt Dr. Uhthoff (1853–1927) zunächst „nur“ festgestellt hatte, dass sich die Sehfähigkeit von MS – Patienten nach durch körperliche Anstrengung hervorgerufene Erhöhung der Körpertemperatur verschlechtert. In der Folge dieser Entdeckung wurde der so genannte Heißbad – Test zur Diagnose genutzt: Patienten mit Verdacht auf MS wurden heiß gebadet. Nahmen die Symptome danach zu, so galt die Diagnose MS als gesichert.
Da sich aber nicht bei allen so Behandelten die Symptome zurückbildeten, wird dieser Test heute nicht mehr angewandt.
Mittlerweile gibt es zum Glück Kühlkleidung, die unter der normalen Kleidung getragen werden kann und die hilft, die Körpertemperatur zu senken. Auch die guten alten Wadenwickel sind von Vorteil. Ich habe seit diesem Jahr eine Kühlweste und hoffe, so etwas leichter durch den Sommer zu kommen.
Obendrein bekommt unser Haus eine Klimaanlage. Puh.